Berufs- und Ehrenordnung der Dolmetscher/ -innen und Übersetzer/ -innen des BGSD e.V.

- Version ohne Anmerkungen für die Praxis -

Berufs- und Ehrenordnung der Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen für

  • Deutsche Gebärdensprache
  • Deutsche Schriftsprache
  • Fremdgebärdensprachen
  • Internationale Gebärden

des Bundesverbandes der GebärdensprachdolmetscherInnen Deutschlands e.V. (BGSD)

 

Präambel

Gehörlose Menschen bilden in Deutschland eine kulturelle und sprachliche Minderheit. Sie haben das Recht auf volle und gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft. Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen (D/Ü) , die sich dieser Berufs- und Ehrenordnung verpflichten, erkennen dieses Recht an und setzen sich im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Umsetzung ein. Sie achten dabei u.a. das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, die UN-Behindertenrechtskonvention und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. 

D/Ü sind sich ihrer Verantwortung und der Notwendigkeit einer flexiblen, selbstverantwortlichen und reflektierten Ausgestaltung ihres beruflichen Handelns bewusst.

Ziele der Berufs- und Ehrenordnung sind

  • die Qualität der beruflichen Tätigkeit von D/Ü sicherzustellen;
  • das ethisch einwandfreie Verhalten von D/Ü zu fördern; 
  • das Ansehen des Berufsstandes zu wahren und zu verbessern.

Sie formuliert Leitlinien, Werte und Standards für ethische Entscheidungen, welche die D/Ü als Berufsethos selbstverpflichtend annehmen. 

Zielgruppe der Berufs- und Ehrenordnung sind hörende und taube D/Ü für Deutsche Gebärdensprache, Deutsche Schriftsprache, Fremdgebärdensprachen, Internationale Gebärden. Die Gültigkeit ist auszuweiten auf angehende D/Ü in Ausbildung sowie Praktikant*innen. 

D/Ü streben in ihrer Tätigkeit stets ein hohes Maß an Integrität1 an. 

Das berufliche Handeln von D/Ü wird dabei von folgenden, dieser Berufs- und Ehrenordnung zugrundeliegenden Werten geleitet: 

  1. Professionalität
  2. Gleichbehandlung und Respekt
  3. Allparteilichkeit 
  4. Verschwiegenheit
  5. Kompetenz und Qualifikation
  6. Kollegialität
  7. Untadelige Auftragsabwicklung
  8. Schutz des Berufsstandes
1. Professionalität1

D/Ü arbeiten professionell.

Sie sind kompetent, sachkundig und qualifiziert. Sie treffen Entscheidungen in beruflichen Kontexten gewissenhaft und übernehmen Verantwortung für diese. D/Ü sind fähig zur Reflexion ihrer Entscheidungen und ihres beruflichen Handelns. Sie verhalten sich der jeweils spezifischen Dolmetschsituation angemessen. 

D/Ü streben eine treue und gewissenhafte Verdolmetschung/Übersetzung an. 

D/Ü üben ihre Tätigkeit nach bestem Wissen und Gewissen aus. Sie dürfen nicht wissentlich falsch dolmetschen oder übersetzen. Fehler, derer sie gewahr werden, korrigieren sie bzw. machen sie in angemessener Weise transparent. 

D/Ü manipulieren Arbeitssituationen nicht für den persönlichen Vorteil oder Gewinn. Sie dürfen keinen Nutzen aus vertraulichen Informationen ziehen, die sie im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit erhalten. 

 

2. Gleichbehandlung und Respekt

D/Ü begegnen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit allen beteiligten Personen mit Würde und Respekt. 

D/Ü diskriminieren niemanden. Sie respektieren die Individualität, das Recht auf Selbstbestimmung, die Kultur und die Autonomie aller beteiligten Personen, mit denen sie arbeiten. 

 

3. Allparteilichkeit

D/Ü verhalten sich allparteilich. 

Sie streben danach die getätigten Äußerungen, Anliegen und Erwartungen aller beteiligten Parteien zu verstehen und zu vermitteln, ohne diese zu beeinflussen. Dies erfordert innere Flexibilität, Empathie und die Fähigkeit eigene Belange zurückzustellen.

D/Ü sind gehalten, Missverständnisse und falsche kulturelle Schlussfolgerungen aufzuklären.

 

4. Verschwiegenheit

D/Ü sind verschwiegen. 

D/Ü schützen inhaltliche Informationen aus ihren Einsätzen und die Daten aller beteiligten Personen. 

Dies gilt auch über das Ende eines Einsatzes hinaus und gegenüber Personen, die bereits Kenntnis von den betreffenden Informationen haben. 

Die Verschwiegenheit kann durch das Gesetz, Grundsätze der Rechtsprechung sowie durch Zustimmung der Betroffenen bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter*innen entfallen.

Die Verschwiegenheit kann, insbesondere mit Einverständnis der Betroffenen bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter*innen, für folgende Zwecke eingeschränkt werden: Aus- und Fortbildung, Supervision, kollegiale Beratung, Information von anderen am Einsatz beteiligten D/Ü. Alle Personen, die Informationen erhalten, unterliegen nach außen hin der Verpflichtung zur Verschwiegenheit vollumfänglich.

 

5. Kompetenz und Qualifikation 

D/Ü sind kompetent und qualifiziert.

D/Ü verfügen über Fähigkeiten und Fertigkeiten in ihren Arbeitssprachen, notwendiges Sach- und Fachwissen, soziokulturelle Kenntnisse sowie translatorische Fähigkeiten. Sie besitzen einen Berufsabschluss als D/Ü. Sie berücksichtigen aktuelle theoretische und praktische Erkenntnisse in ihrer Arbeit und nehmen an Weiterbildungen teil. D/Ü zeichnen sich durch die Fähigkeit zur (Selbst-) Reflexion aus.

 

6. Kollegialität 

D/Ü verhalten sich respektvoll, solidarisch und kooperativ im Umgang mit Kolleg*innen, Studierenden und Praktikant*innen 

Sie zeigen taktvolle Zurückhaltung bzgl. der Beurteilung der Leistung und des Verhaltens von Kolleg*innen. Kritik an einer fehlerhaften Arbeit oder an vermeintlich unangemessenem Verhalten ist ohne Schärfe, konstruktiv und zunächst gegenüber der betroffenen Person vorzubringen. 

Beschäftigen D/Ü freiberufliche oder angestellte Kolleg*innen als Mitarbeitende, sollte dies nach den Grundsätzen dieser Berufs- und Ehrenordnung erfolgen.

D/Ü enthalten sich jeglicher Form des unlauteren Wettbewerbs und aller Maßnahmen, die geeignet sind Kolleg*innen aus einem Auftrag zu verdrängen. 

 

7. Untadelige Auftragsabwicklung

D/Ü streben stets eine untadelige Auftragsabwicklung an.

Sie treffen vor Beginn der Tätigkeit klare Vereinbarungen zu Inhalt und Art des Auftrags, sowie zur Leistung und Gegenleistung. Ihr Auftreten ist angemessen, sie streben nach Zuverlässigkeit in der Korrespondenz. 

D/Ü akzeptieren Aufträge nur dann, wenn sie davon ausgehen, dass

  • sie über angemessene Qualifikationen und notwendige sachliche und sprachliche Kenntnisse in allen Arbeitssprachen verfügen oder sich im Rahmen der Vorbereitung verschaffen können. 
  • sie sich im Rahmen ihrer Tätigkeit gemäß dieser Berufs- und Ehrenordnung verhalten können.
  • der Auftrag sie psychisch und physisch unbeschadet lässt. 

D/Ü lehnen Aufträge ab, die ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten übersteigen oder sie in einen tatsächlichen oder wahrgenommenen Interessenkonflikt bringen.

Ergibt sich ein Interessenkonflikt oder ein anderer triftiger Grund für den Rücktritt von einem Auftrag oder muss ein Auftrag, nach Auftragsannahme abgebrochen werden, so machen D/Ü die Gründe transparent und erarbeiten mit den relevanten Beteiligten eine mit dem Vertragsrecht konforme Lösung.

 

8. Schutz des Berufstandes

D/Ü wahren und pflegen das Ansehen ihres Berufsstandes. 

Sie erbringen ihre Leistung ungeachtet von Druck oder Einflussnahme von Außen. Weisungen des Auftraggebers können einen Verstoß gegen die Berufs- und Ehrenordnung nicht rechtfertigen. 

D/Ü fördern im Rahmen ihrer fachlichen und persönlichen Möglichkeiten den beruflichen Nachwuchs. 

D/Ü sind dafür verantwortlich, Verstöße gegen die Berufs- und Ehrenordnung oder unprofessionelles Verhalten oder daraus resultierende Umstände auf professionelle Weise zu diskutieren und aufzulösen.

Sie übernehmen die Verantwortung für die Qualität ihrer Tätigkeit, unterlassen falsche oder ungenaue Äußerungen bezüglich ihrer beruflichen Kompetenzen, Ausbildung, Erfahrungen oder Abschlüsse. 

Die Regelungen dieser Berufs- und Ehrenordnung gelten auch für angestellt tätige D/Ü, soweit sich aus dem Arbeitsvertrag und der arbeitsrechtlichen Weisungsbefugnis des Arbeitgebers nicht etwas anderes ergibt.

 

In Kraft treten

Diese Berufs- und Ehrenordnung für oben genannte D/Ü wurde am 11.11.2018 von der Bundesversammlung des Bundesverbandes der GebärdensprachdolmetscherInnen Deutschlands e.V. verabschiedet. Sie löst die bisher gültige Berufs- und Ehrenordnung für Gebärdensprachdolmetscher/innen und Übersetzer/innen vom 08.12.1995 ab. Sie wurde in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Verbänden wie dem Deutschen Gehörlosen-Bund e.V. und Institutionen des Berufsstandes in Deutschland entwickelt und soll in regelmäßigen Abständen überarbeitet werden.

 

1Begriffsdefinitionen

Gehörlose Menschen/Gehörlosengemeinschaft: „Gehörlose sind (…) [Menschen], die vorzugsweise in Gebärdensprache kommunizieren und sich der Gebärdensprachgemeinschaft und ihrer reichen Kultur zugehörig fühlen.“ (Deutscher Gehörlosen-Bund e.V.). Gemeint sind hier taube/gehörlose, schwerhörige und taubblinde Menschen. 

Integrität ist hier gemeint als moralisch einwandfreies, ehrbares und rechtschaffenes Verhalten im Sinne der Gesellschaft. Gleichzeitig meint es die Übereinstimmung des persönlichen Wertesystems und der persönlichen Ideale mit dem eigenen Reden und Handeln. Die Integrität und Würde der Mitmenschen wird dabei geachtet und möglichst nicht verletzt.

Professionell ist u.a. gleichzusetzen mit „fachmännisch, kompetent, sachkundig, qualifiziert“ (Duden, 2017). Professionalität bedeutet nicht, perfekte Ergebnisse zu erzielen. Professionalität heißt vielmehr, in der Lage zu sein, eine Strategie für eine Handlung gezielt auszuwählen und diese Wahl begründen zu können, diese Entscheidung zu reflektieren und das Ergebnis der Reflexion für Revision und Erweiterung des vorhandenen Wissens zu nutzen. (S. Kögel, 2003, „Betrachtung zur Gestaltung professionellen Handelns von Gebärdensprachdolmetschern vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Funktion von Professionen und Professionalisierungsprozessen“)